4.Fragment für das Buch "URRUHE", 28.3.2016
Viele Freunde (auf Facebook) und Follower (auf Twitter) mögen vielleicht denken, der Pier, oh der hat's gut, der ist jetzt im Urlaub und tankt diese heilige Urruhe jeden Tag, nach der wir uns hier im gewöhnlichen Alltag des Arbeitslebens so sehr sehnen. Aber das stimmt nicht! Ich bin weder "in Urlaub" noch tanke ich Urruhe, denn beide Begriffe sind hohle Nüsse für einen waschechten Nullyogisten, der ich ja sein muss, da ich ja Pier Zellin bin, der sagenhafte Begründer der Antisekte, die sich als Satire tarnt, aber insgeheim Anhänger aquiriert, um die Weltherrschaft zu übernehmen, wie es sich für eine echte Sekte ziemt. Aber Spaß beiseite: ich schaue fast täglich mehrere Stunden in den Horizont des Ozeans und lausche dem Heranspülen der Wellen. Der Sand unter meinen Füßen wärmt meine Fußsohlen, ja brennt sogar manchmal zu sehr, um barfuß zu laufen. Wir gehen die Strandpromenade entlang und sagen oft nichts. Es ist einfach überwältigend, diese intensiven Farben der Natur in sich aufzunehmen, sich randvoll damit anzufüllen und das Gefühl zu haben, selber diese Intensität zu sein, weil man nichts anderes wahrnimmt als diese sinnliche Reizüberflutung. Dann setzen wir uns in eines der kleinen Strandcafés, um zu brunchen und mit dem Smartphone via Wlan ins Internet einzuloggen. Im Café ist es schattig und etwas kühler. Mit etwas Glück wird sogar chillige elektronische Meditationsmusik gespielt. Ich liebe das! Ich bin nicht mehr als all diese Eindrücke. Es kommen noch die Erinnerungen hinzu, die mein Geist produziert. Freie Gedanken über tausend Kleinigkeiten, die gerade nicht hier sind. Ideen für morgen. Interpretationen von Erlebtem. Das Gehirn ist ein Wunderkasten! Ich lasse mich durch diese Gedanken treiben, nehme sie ebenso real wahr wie das Geschehen um mich herum. Es sind alles Informationen, die verarbeitet werden, keine ist besser oder schlechter, innen oder aussen; denn ich habe keine Mitte in mir, auf die sich die Informationen beziehen oder wo sie gesammelt werden. Die Bilder in meinem Kopf sind genauso äusserliche Objekte wie die Gegenstände um meinen Körper herum. Ich ziehe eine künstliche Grenze um meinen Körper und sage: in meinem Körper ist "innen" und ausserhalb der Haut ist "aussen". Aber in echt finde ich keinen Punkt, der sich als wahres Ich festmachen lässt, um wirklich eindeutig zu sagen: Ich bin der Körper. Oder: Ich bin das Gehirn. Da ist einfach nur Wahrnehmung, Bewusstsein, das sich einen Namen gibt und mit Informationsfluten jongliert. Die Tastatur meines Smartphones ist zum Beispiel nicht weniger "ich" als die Finger, die sie berühren, solange es diese Handlung des Schreibens gibt. Realität ist nicht die Hand ODER die Tastatur sondern DAS SCHREIBEN, das aus BEIDEN besteht: Finger UND Tastatur. Es wird geschrieben. Es schreibt sich. Das Schreiben passiert. Da schreibt sich was. Auch der Tisch vor mir ist Teil dieser Handlung, der Stuhl, auf dem der Körper sitzt, der auf den Namen Pier gehorcht und der Cocktail, der über meine Zunge den Weg in den Magen hinuntergleitet. Alles wird wahrgenommen und ergibt in der Summe das Jetzt, das passiert. Mehr Ich zu erwarten wäre die ewige Hoffnung auf einen LETZTEN Augenblick, eine LETZTE Erfahrung, eine LETZTE Gegenwart, die sich zum Diktator der Mitte aufspielen wollte. Diese Mitte ist nicht nur leer: es gibt sie überhaupt nicht! Wer die Realität als UNENDLICH empfindet, der spürt diese Erkenntnis mit den eigenen Sinnen: die Unendlichkeit hat keine Mitte, die Mitte ist quasi überall, immer dort, wo wahrgenommen wird und sich Identität aus der Informationsflut herauskristallisiert. Für einen Moment gibt es das Ich, aber es ist in seiner konkreten Unendlichkeit nicht vollständig zu fassen, bevor es sich schon wieder in neue Bestandteile verwandelt hat - der nächste Moment ist gekommen! Das Treiben von Augenblick zu Augenblick nennt man auch "Flow", wenn man tatsächlich ohne ein abgespaltenes, reflektierendes Extra-Ich aus allem besteht, was passiert. Ganz eingegangen in diesen Flow löst sich sogar das Gefühl auf, es gäbe verschiedene Augenblicke: die Einteilung des Seins in Zeiteinheiten erweist sich als Konstruktion des Gedächtnisses! DU BIST in echt NUR JETZT. Das kann man sogar beim Schreibvorgang erleben: Du denkst nur DAS HÖREN des Geräusches der Tastatur und DAS SEHEN der geometrischen Formen der Buchstaben, die vor Dir wie aus dem Nichts auftauchen, indem Du sie hinschreibst. Dein Denken ist randvoll mit Sinneseindrücken. Und zwischendurch bemerkst Du sogar einige Traumbilder, die im Hinterkopf gleichzeitig abspulen. Der Geist produziert permanent traumartige Bilder, nicht nur im Schlaf, aber wir schauen die innere Leinwand nicht tagsüber an, um nicht durchzudrehen vor lauter Eindrücken. Die Welt ausserhalb der Hautbegrenzungen ist schon ein einziges Spiegellabyrinth voller Reize, die permament neu verarbeitet werden. Wenn dann noch die inneren Bilder hinzukommen, und dann noch womöglich sogenannte paranormale Erscheinungen, die weder innen noch aussen eindeutig passieren, dann ist der Augenblick, diese totale Gegenwart, wirklich zum Überschäumen voll von Informationen. Wer diese unendliche Totalität der Gegenwart mit einem statischen, transzendenten Ich kanalisieren will, wird leicht überfordert sein und womöglich in eine Psychose abrutschen. Die Auflösung der Mitte zugunsten eines fließenden Ichgefühls ist da sehr hilfreich. Das ist für einen spirituellen Sucher leider kaum möglich, denn er möchte nicht loslassen, ohne irgendwo anzukommen. Ankommen ist dieser heilige Wunsch des Urlaubers, der im tagtäglichen Stress keine Urruhe findet. Er glaubt, er sei von der Arbeit verspannt und bräuchte eine Pause. Diese ersehnte Pause nennt er dann Tiefenentspannung. Da haben wir wieder den Dualismus, der unser Ego auf Trab hält: Verspannung im Alltag und Tiefenentspannung im Urlaub. Und dann wundert sich dieser Urlauber, dass die erhoffte Urruhe nicht eintritt. Denn insgeheim soll diese Urruhe im Grunde einer Erleuchtung gleichen. Er möchte durch meditatives Loslassen in einer Urruhe ankommen, an der er sich festhalten kann, ohne Angst, dass sie wieder verschwinden könnte. Diese Sehnsucht ist alt wie die menschliche Suche nach metaphysischer Wahrheit! Was aber tatsächlich passiert, ist etwas sehr Simples: der Urlauber verabschiedet sich von seinen Alltagseindrücken und sammelt einfach nur neue Bilder an, Bilder, die Balsam für die Seele sein sollen, im Gegensatz zu den verspannten Handlungen des stressigen Alltags. Er tauscht die einen Bilder gegen die anderen aus, anstatt aus der psychischen Konsumhaltung ganz auszusteigen und FREI VON ALLEN BILDERN zu werden, nämlich frei von dem Ich, das sich nur über die Bilder definiert. Dann erst passiert Urlaub mitten im Alltag und die Urruhe wird spürbar, ohne etwas Spezielles zu erleben. Denn es gibt dann kein Ich mehr, das sich verspannt oder tiefenentspannt fühlt, sondern nur ein zerfließendes Ichgefühl, das im totalen Jetzt angekommen ist und die jeweilige Spannung der Gegenwart wahrnimmt. Gegenwart ist immer eine konkrete Spannung. Aber es gibt diesen erleuchteten Unterschied, ob da ein Extra-Ich definiert, dass die eine oder andere Spannung als "total" tiefenentspannt oder "total" verspannt wahrgenommen wird - oder ob das Bewusstsein an sich ohne Extra-Ich jede Spannung als unendliches Ziel in der unendlichen Nähe empfindet. Das Ziel der befreiten Identität liegt niemals ausserhalb dessen, was gerade jetzt wahrgenommen wird. Wenn ein inneres Traumbild im Jetzt erscheint, das schöner und spannender wirkt als die derzeitige Gegenwart, so ist auch dieses Gedankenbild ein Teil der gegenwärtigen Spannung und kann dazu motivieren, sich in eine Richtung zu bewegen, wo das innere Bild auch im Äusseren auffindbar wird. Aber das geschieht mangels Extra-Ich ohne den zwanghaften Druck, den das Ich erzeugt, wenn es mit dem Augenblick unzufrieden ist. Unzufriedenheit kann zwar zu neuen Zielen anstacheln, aber die permanente Unzufriedenheit aufgrund der Abhängigkeit von speziellen Erlebnissen führt dazu, dass dieses bildersaugende Ich niemals ankommt, weil alle Bilder vergänglich sind, alle Sinneseindrücke, alle Informationen, alle Augenblicke. Erleuchtung geschieht nur als Befreiung von diesem konsumorientierten Extra-Ich, um in der fließenden Wahrheit der sich ewig wandelnden Gegenwart aufzuwachen und zu bemerken: da ist niemand da, der behaupten könnte, aufgewacht zu sein - alles IST wach! Selbst das Extra-Ich, das Du vorhin noch als Deine "Identität" empfunden hast, war nur ein BILD Deiner Wahrnehmung, eine abstrakte Projektion einiger ausgewählter Informationen der Realität, während die anderen Bilder als Nicht-Ich empfunden wurden. Jetzt sind da nur noch ichlose Bilder, die sich nahtlos aneinanderreihen, und kein Bild, das behauptet, ein Ich zu sein. Das Gehirn nimmt sich selbst als "das Schwimmende" in der Schädelschale wahr, und das Denken nimmt sich als neurochemischen Prozess im Gehirn wahr. Die Haut nimmt sich als Haut wahr, die Augen nehmen sich als Augen wahr und den Tisch vor mir als Tisch. Die ganze Welt besteht aus Sinnesobjekten (Impressionen), die sich gegenseitig wahrnehmen. Sie erscheinen und zerfallen, sie begegnen sich und entfernen sich. Die Objekte sind allesamt absolut wahr, absolut wirklich, absolut da. Aber sie haben keinen Bestand, sie sind hohl, sie sind leer, sie sind wie das Fensterglas, durch das man hindurch schaut, als wäre da nichts. Das ist unsere Welt: sie ist total leer und hohl und doch absolut da. Die Füße am unteren Ende des Körpers, der sich Pier Zellin nennt, genießen den warmen Sand unter sich, der Mund, der diesem Menschen gehört, schlürft seinen Cocktail, die Ohren des Menschen lauschen der Wellenbrandung. Der Geist dieses Menschen denkt: "Es wurde genug gesessen, der restliche Körper will wieder Schwimmen gehen." Und so steht Pier Zellin gleich wieder auf und verschwindet aus dem Café, als hätte es das Internet nie gegeben. Der Himmel ist strahlend blau, die Sonne scheint immer noch, und die Menschen sind fast nackt und schön. Am Strand wird getanzt. Es ist paradiesisch! So paradiesisch wie überall, wo das SEIN wahrgenommen wird. Falls Du jetzt gerade im Fahrstuhl eines Wolkenkratzers feststecken solltest, versuche zu spüren, dass es DAS ABSOLUTE SEIN ist, das sich da gerade als Fahrstuhl und kaputte Elektrik manifestiert. Nutze die Zeit, um mit Deinem Smartphone durchs Internet zu surfen und für Deine Allgemeinbildung Sorge zu tragen. Oder falls die Verbindung abbricht, spüre den Atem, der von Deinen pumpenden Lungen erzeugt wird: Ist es nicht wunderbar, wie SEHR ALLES DA IST! Niemand braucht irgendwas absichtlich zu machen, um "noch wahreres" Sein zu erzwingen. Das Sein ist immer und überall wahr und wahrhaftig. Jetzt atmest Du endlich tief durch und spürst dieses ewige Urlaubsgefühl mitten in diesem verfluchten Fahrstuhl. Alles ist in seinem eigenen Anwesenheitsgefühl angekommen und ist nicht mehr als das, was es ist. Das ganze Sein ist da und passiert absolut wirklich genau so, wie es JETZT IST. Nichts braucht irgendwas loszulassen, weil niemand zum Festhalten da ist. Die Große Gelassenheit der entkernten Gegenwart verwebt alle Bilder zu einem einzigen Film. Der Film des Lebens läuft und läuft und läuft. Alles ist gegenwärtig. Die Urruhe ist nur die Tatsache dieses unendlichen Flusses. Jede Handlung ist diese ultimative Tat-Sache "SEIN". Ein Teil des Geistes, der diesen Text hier formuliert hat, empfindet den Text übrigens als sehr oberflächlich. Er ist mit seinen Gedanken "total unzufrieden" (seht Ihr mein breites Grinsen?), weil er nichts Neues sagt und trotzdem nicht schweigt. Aber ein anderer Teil des Geistes hat diesem Gedankenstrom nachgegeben, weil er genau das wissen wollte: hat sein Gehirn irgendwas Neues kapiert? (wieder: breites Grinsen) Nein, es ist alles beim Alten geblieben. Nullyoga rund um die Uhr. Bis zum sogenannten "Lebensende" (breiter kann ich nun nicht mehr grinsen) - MEHR IST NICHT ZU ERWARTEN. Enjoy the empty existence! Pier Zellin funktioniert wie eine Maschine, die sich ihrer selbst bewusst ist. Die Maschine ist immer so groß wie die Gegenwart. Ich möchte Dich, meinen geliebten Leser, nicht langweilen, aber ich fürchte, dies war mein letzter theoretischer Text. Ich würde mich in Zukunft auf die Beschreibung der konkreten Realität einzelner Phänomene im Tagesablauf beschränken müssen, aber wozu sollte ich solche "persönlichen" Tagebucheinträge verfassen? Du bist ja selbst in der Mitte des Universums angekommen und erlebst das ganze Sein hier und jetzt! Schöner als dort, wo jeder von uns das Sein derart nondual spürt, kann die Erde nicht sein. Lass uns anstoßen auf unseren wundervollen Planet, unser Zuhause, das wir mit Bomben und Plastik übersähen, weil wir abstrakte geistige Ideale verfolgen anstatt uns vor der natürlichen Schönheit des Seins zu verneigen. Die Menschheit ist ein Monster, das sich selber zugrunde richtet, wenn es DAS LIEBEN nicht lernt. Fangen wir also als einzelne Exemplare schon heute damit an: verneigen wir uns voreinander und reichen uns die Hände! Egal, woran wir glauben oder nicht glauben! Wir sind alle gemeinsam DA...