MAINSTREAM-MYSTIK, WELLNESSWAHN UND NULLYOGA

Tom de Toys, 20.12.2015 (Exklusiv-Beitrag für Nullyoga.de)

 

seitdem ich 1989 meine lebensphilosophie als "lochismus" getauft hatte, wartete ich auf eine transspirituelle revolution in der gesellschaft, eine sanfte bewegung hin zur leeren, offenen mitte! es sollte 26 jahre dauern (auf die rückkehr meiner jugendliebe wartete ich ebenso lange), bis nullyoga "erfunden" wurde. ich bin 1989 sofort aus der kirche ausgetreten und wollte mit religion, esoterik und spiritualität nichts mehr zu tun haben. die sogenannten "letzten" fragen (nach gott, sinn und dem wahren ich) hatten sich in der locherfahrung erledigt. absurderweise wurden meine gedichte in all den jahren trotzdem als esoterisch oder spirituell empfunden, weil ich am liebsten über die bedeutung der GEGENWART schrieb. aus der angeblichen gegenwart ist inzwischen eine ganze wellnessindustrie geworden, das sogenannte ankommen im totalen jetzt wird von satsanglehrern, sekten, gurus und gesundheitsaposteln vermarktet und konsumiert. wir haben ein kollektives burnout und manche sogar schon ein boreout. wir therapieren unser "ich" und beschäftigen uns mit virtuellen identitätskrisen: das ego-business bestimmt unsere gesamte realität. wir konsumieren "die stille" und "die leere" in meditationsseminaren oder in der mittagspause, die zur hochkonzentrierten "mikropause" verdichtet wird (Alexander Markowetz erwähnt sie in seinem buch "digitaler burnout"). und die neuen trendphilosophen Markus Gabriel und Richard David Precht schreiben so langweilige bücher in der tradition des dualismus, daß man meinen könnte, sie wollten nochmal bei null anfangen. aber leider fangen sie eben nicht bei der null an, denn sie sind keine "loch-leute" (Kurt Tucholsky), sondern umkreisen die ränder des lochs wie alle normalen "etwas-leute". die null ist noch immer nicht in der gesellschaftlichen mitte angekommen (Charles Seife hat die geschichte der unzahl sehr schön beschrieben, man lese "zwilling der unendlichkeit"), das mystische und mathematische loch wird mit allen möglichen theorien und glaubenssystemen verstopft. aber die ERFAHRUNG der null als radikale zersetzung des "habensmodus" (Erich Fromm) führt zu einer wundervollen erkenntnis: "ICH BIN IDENTISCH" (Pier Zellin, 19.9.2015) - nicht "mit etwas" identisch (das man dann wie ein Baron von Münchhausen festhalten muß), sondern einfach nur identisch: das eigentliche "ich bin", wenn man sich ganz (vollständig: complete!) von innen fühlt anstatt der obersten regel des clubs zu folgen: "immer nach außen" (Jed McKenna in der "spirituellen dissonanz"). diese überwindung der menschlichen urschizophrenie (das sich selbst suchende ego, wie es Alan Watts am beispiel des loches im taschentuch darstellte) ist für mich das entscheidende am nullyoga, denn ich erlebe es jeden tag immer wieder aufs neue, wie heilsam es ist, mir zu sagen "ich bin identisch" anstatt mich in einem abgespaltenen "extra-ego" zu verzetteln, als wäre man tatsächlich ein "surrogate" (man schaue den film mit Bruce Willis), dessen wahres ich sich an einem utopischen, unerreichbaren unort befände (das wäre die radikalisierung des films: die "user" der surrogates finden nicht mehr zurück in ihren echten körper und vergessen sogar, wo er verkabelt herumliegt). für einen nullyogi ist die realität keine matrix, aus der man "erwachen" müßte. ein nullyogi ist nicht aus einem traum aufgewacht, sondern er empfindet das leben als ECHT. als absolut echt. das ist eine viel großartigere erleuchtung als der elitäre klimbim von osho-karikaturen oder straßenmissionaren wie den zeugen jehovas, die allesamt sagen: ERWACHET! dank kritischen zeitschriften wie der "connection spirit" (1985-2015 vom Tucholsky-liebhaber Wolf Schneider herausgegeben) und den provokanten facebook-kommentaren von Pier Zellin in der spiriszene (während seiner amtszeit als LDL-pressesprecher) ist mir erst richtig bewußt geworden, daß das sogenannte "new age" der 80er jahre nahtlos in einen neuen erleuchtungstrend übergegangen ist. mithilfe von Eckhart Tolle, Werner Ablass, Christian Meyer und anderen szenestars will heute jeder "aufwachen", sein "ich" als illusion enttarnen und irgendwas ABSOLUTES erreichen. alle bemühen sich fürchterlich ernsthaft, "das absolute" zu finden und zu sein. sein natürlich groß geschrieben: SEIN. das DAS. bevor sich Pier Zellin in seinem buch "nullyoga" darüber amüsierte, daß spiris "das das" (tschuldigung, heilige großschrift: das DAS) wie den heiligen gral suchen, dachte ich immer, man würde darunter tatsächlich das echte leben verstehen, das man sinnlich erfahren kann, denn man sagt doch auch: DAS DA! UND DAS DA! und meint damit ganz einfach die echten dinge. aber die echten dinge sollen eine "erhabene" (oder platonische) leere enthalten, die man nicht sehen und nicht riechen kann, aber derer man sich bewußt werden soll, um sein ich zu überwinden, allerdings ohne zu klären, WER sich da "bewußt" wird, wenn es kein ich und keine person mehr geben soll. ja, Pier, ich kann dich sehr gut verstehen, wenn du sagst "spiritualität ist ziemlich anstrengend und kompliziert, ich mache lieber nullyoga" (5.10.2015). ich habe selbst jahrelang in einem zustand gelebt, den ich heute rückwirkend als "spiri-psychose" bezeichne! mir war nämlich nach meiner locherfahrung nicht aufgefallen, daß sich diese totale disidentifikation als SYMBOLISCHE INFORMATION in meinem abgespaltenen ego festgesetzt hatte und mich dann manisch-künstlerisch rundumdieuhr beschäftigte. erst dank einiger psychosynthese-sitzungen (bei dem humorvollen therapeuten Eckhard Haupt in berlin) wurde mir klar, daß es gar nicht 1 einziges ich gibt, von dem man sich befreit, sondern zahllose ich-anteile, die sich gegenseitig ergänzen oder bekämpfen. so gab es zum beispiel ein ich in mir (nennen wir es den pseudolochisten), das behauptete, es hätte "die leere" erfahren und sei darum nun leer. und ein anderes ich (vielleicht der innere zen-meister?) reflektierte über dieses leere ich und behauptete, daß es "das leere-ich" gar nicht geben könne, weil die leere ja leer, inhaltslos, ichlos sei. und so stritten die beiden sich jahrelang um die richtige definition von leere anstatt wirklich LOSZULASSEN. ich konnte erst wirklich loslassen, als sich ein altes trauma verflüchtigte, das mich seit meiner kindheit davon abgehalten hatte, IDENTISCH zu sein, mich ABSOLUT zu fühlen: eins, echt - von innen! die anfängliche locherfahrung war quasi meine persönliche "erleuchtung", aber die viel spätere auflösung des traumas bewirkte erst das "aufwachen" aus der ego-selbsthypnose. wäre das nicht vor zwei jahren passiert, hätte ich von nullyoga vielleicht gar keine notiz genommen oder hätte zumindest nicht erkannt, wie radikal es eigentlich ist, gut getarnt als anonyme spirisatire, damit jeder sein eigener antiguru werden möge (anstatt einen gewissen Pier zu verehren, der uns allen nur via internet "bekannt" ist, und der sich gerne Pi nennt, wie die zahl mit endlosen stellen hinterm komma!). nullyoga ist für mich überhaupt kein quatsch, sondern nur sehr humorvoll, teilweise ironisch und dadaistisch verpackt. das hätte sowohl Alan Watts als auch Kurt Tucholsky gefallen. Watts würde ich als ersten nullyogi bezeichnen, Tucholsky als ersten lochisten. ich fühle mich in einer solchen tradition wesentlich wohler als bei den katholiken oder buddhisten. ich brauche heutzutage weder gott noch die leere: BEIDE haben sich für mich als gedankliche projektionen des nimmersatten egos erwiesen, das nicht hier und jetzt "in sich ruht" sondern sich von symbolen ernährt, die über abwesendes nachdenken und sich als identität, als person präsentieren anstatt "grundlos inwesend" zu sein. was Pia Zellin mit dem spruch meint "feel COMPLETE here and now" (am 30.10.2015 im nullyoga-buch), nenne ich eigentlich schon sehr lange die INWESENHEIT, ohne meine eigene (traumatisch bedingte) abwesenheit bemerkt zu haben. wenn ich die existenz heute ganz und gar inwesend fühle, bin ich identisch - anstatt ein auge, das sich selbst sehen will (um nochmals Alan Watts zu zitieren). das ich ruht dann tatsächlich in der "urberuhigten bewegung" (Pier, 11.9.2015), denn es IST im tiefsten inneren nur dieser blinde fleck im auge, ein pupillenloch, durch das die realität nahtlos hindurch strömt. daher stimmt es für mich, daß nicht irgendein ich nullyoga "macht", sondern ALLES, was IST, macht als DAS, was es ist, nullyoga. es liegt an mir, welche bewußtseinsinhalte sich (als ich) gesund anfühlen (das herzschlag-ich, das atem-ich, das blutbahn-ich, das allgemeine körper-ich, das begegnungs-ich vom direkten gegenüber bis in die unendlichkeit des universums!) und welche mich von der DIREKTEN gegenwart fernhalten. insofern ÜBE ich paradoxerweise nullyoga, ich gebe es zu! ist das nun peinlich? bin ich kein echter nullyogi, weil ich das übe, was nicht geübt werden braucht? doch, ich bin ein totaler nullyogi, aber kein heiliger. indem ich mir dank nullyoga bewußter darüber werde, WER ich jetzt grade bin, WO ich mich jetzt grade aufhalte und WAS mich jetzt grade beschäftigt, erkenne ich leichter und schneller als früher, OB ich ganz anwesend bin oder ob sich mein ich (meine inwesenheit) auf unzählige ich-anteile (meine identität) verteilt, die mich von der ABSOLUTEN gegenwart ablenken, weil sie sich selbst suggerieren, NICHT absolut zu sein, NICHT identisch, sondern eine illusion, obwohl ALLES identisch und daher in sich nondual (Pier: "total real") ist - was sich dem bewußtsein aber erst offenbart, wenn die skeptischen ichs gänzlich SCHWEIGEN, gewissermaßen "ins leere laufen" und erkannt wird, was Pia auf eines ihrer twitter-hintergrundbilder montierte: "illusion is an illusion - it is infinite". it: die realität. sie ist unendlich! KEIN ich ist eine illusion, nur die unfähigkeit, sich ALS dieses oder jenes ich zu akzeptieren, verhindert die "absolution" (Ivan Petri). ich darf mich auch dann als absolut empfinden, wenn ich in gedankenkreiseln verstrickt bin, denn sie sind dann realität, MEINE realität, MEINE persönliche art und weise, GANZ DA zu sein! wenn ich NICHT "in gedanken" (versunken statt aufgetaucht) sein will, höre ich eben auf zu denken. punkt. yoga-verrenkungen brauche ich dazu nicht, auch keinen meditationslehrer. der gesichtslose "innere antiguru" (Pier, 13.9.2015) ist der nullpunkt, das loch, aus dem ich herausschaue und in bewegung bleibe. absolut echt. das tut gut. das ist heilsam. das verhindert depressive grübeleien. ich sage das gerne ganz ehrlich: KEINE psychotherapie konnte mir so viel helfen, wie es die reine lektüre des buches NULLYOGA tat! ich bin erst dank nullyoga zum echten lochisten geworden, obwohl meine locherfahrung so lange zurück liegt...